Das Wort "Dilemma" stammt aus dem Griechischen und bedeutet "zwei Prämissen". Es betont die Schwierigkeit, eine Wahl zu treffen, wenn es zwei gleichzeitig bestehende und oft widersprüchliche Optionen gibt.
Im Bereich Unternehmensnachfolge treffen wir häufig auf das moralische Dilemma, die eine Person in einer Zwickmühle gefangen hält.
Identitätskrise beim Übergeber und Übernehmer
Die Verbindung zwischen Unternehmer und Unternehmen ist oft so eng, dass der Gedanke an eine Trennung beim Übergeber eine regelrechte Identitätskrise auslösen kann.
Aus eigener Erfahrung kann ich das nur bestätigen. Der Gedanke daran mein Hotel abzugeben und damit auch meine Profession als Hotelier, die ich mir über viele Jahre hart erarbeitet habe, versetzte mich regelrecht in Panik.
Wer war ich denn, wenn ich nicht mehr Eigentümerin und Geschäftsführerin des Residenz Hotels war? Wie sollte ich meinen (Arbeits)Alltag gestalten? Womit würde ich meine Zeit und mein Wirken verbringen?
Wie sollte ich mir Ansehen und Respekt, sei es von der Gesellschaft, den Hoteliers-Kollegen oder mir nahestehenden Personen, verdienen?
Nun stelle man sich vor, dass ich dieses Unternehmen zu dem Zeitpunkt gerade mal sechs Jahre geführt hatte. Wie groß muss erst der Schmerz sein, wenn man das Jahrzehnte bzw. ein ganzes Leben lang gemacht hat?
Aus der Zusammenarbeit mit meinen Mandanten kann ich das ebenfalls bestätigen. Auf der einen Seite möchte der Übergeber endlich seinen wohlverdienten Ruhestand genießen, aber auf der anderen Seite weiß er nicht so recht, was er mit der neu gewonnen Freiheit anfangen soll. Die erste große Fernreise ist zwar noch reizvoll, aber spätestens nach der dritten zieht es den Patriarchen wieder zurück an den Schreibtisch und sei es nur, um des "täglich ins Büro Müssens" einer gewohnten, berechenbaren Routine nachzugehen. Auch Wolfang Grupp (Geschäftsführer TRIGEMA) erklärt in einem Interview zu seiner bevorstehenden Nachfolge, dass er sich aus dem Tagesgeschäft raushalten, aber nicht auf einen Schreibtisch im Unternehmen verzichten wolle.
Das Dilemma: Einerseits aufhören zu wollen und andererseits nicht aufhören zu können.
Der Übernehmer wiederum steht vor der Herausforderung, nicht nur das Unternehmen zu übernehmen, sondern auch seine eigene Identität als führende Kraft zu etablieren. Viele Nachfolger kämpfen mit dem Vorurteil der Gesellschaft und den Mitarbeitern des Unternehmens, dass sie nur "Chef" würden, weil sie Sohn oder Tochter von XY sind. Gerade in Zeiten des Sozialneids muss sich die Nachfolgergeneration den Respekt umso härter erarbeiten, um die Bequemlichkeit der Erbfolge auszuhebeln. Da ist es doch einfacher entweder eine ganz andere Profession zu wählen oder gar ein eigenes Unternehmen von Null an zu gründen. Wolfgang Grupp junior, der zusammen mit seiner Schwester Bonita Grupp ab 01. Januar 2024 die Geschicke des Unternehmens leiten wird, sagt auch "Das, was unser Vater seit 54 Jahren macht, ist sicherlich nicht selbstverständlich. Dass wir diese Fußstapfen nicht gleich füllen können, ist auch klar.“ (Capital, 07.11.2023, Katja Michel)
Das Dilemma: Einerseits das Geburtsrecht der Nachfolge und andererseits in Konkurrenz mit dem eigenen Vater anzutreten.
Unsicherheiten Verstecken
Eine Unternehmensnachfolge - insbesondere in Familienunternehmen - soll souverän und elegant über die Bühne laufen. Möglichst ohne Streitereien und Skandale. Es ist jedoch menschlich, dass in Veränderungsprozessen Unsicherheiten auftreten und selbst der erfahrenste Unternehmer über diese stolpern wird.
Doch während der Übergangsphase der Unternehmensnachfolge werden beide Parteien ihre Unsicherheiten nicht offenbaren, sondern hinter originellen Verhaltensweisen verbergen. Unsicherheiten können vielfältige Ursachen haben. Oftmals resultieren sie aus einem tief verwurzelten Bedürfnis nach Anerkennung oder einem unklaren Selbstbild. Diese Unsicherheiten können auch auf persönlichen Erfahrungen basieren, die das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten beeinflusst haben. Wie aber äußert sich das konkret?
Ein deutliches Indiz sind übertriebener Kontrollzwang und Schwierigkeiten bei der Delegation von Aufgaben und Verantwortlichkeiten. Auch eine leichte Reizbarkeit und unkontrollierte (Wut) Ausbrüche sind ein deutliches Anzeichen für Überforderung durch Unsicherheit. Dies trifft den Übergeber und Übernehmer gleichermaßen.
Das Dilemma: Einerseits souverän und kompetent aufzutreten und andererseits die tieferliegenden Emotionen zu kaschieren.
Angst vor Zerstörung
Zusätzlich lastet die Angst, die Generation zu sein, die das Unternehmen und damit das Erbe zerstört, schwer auf den Schultern des Übernehmers. Insbesondere, wenn schon von der Geburt an kommuniziert wurde, das "man eines Tages das Familienunternehmen übernehmen wird." Damit steht der Übernehmer konstant im Konflikt zu den eignen (Lebens)zielen und der Loyalität gegenüber der Familie.
Häufig habe ich in Gesprächen mit der Nachfolgergeneration heraus gehört, dass ihnen gar keine andere Wahl blieb, als das Familienerbe anzutreten, und in die Fußstapfen der Eltern zu treten. Andere wiederum können es kaum erwarten den langersehnten Posten als Unternehmensoberhaupt anzutreten, denn ihre ganze Bildung und Karriere haben sie danach ausgerichtet. Und trotzdem bleibt beiden die gleiche Angst, es nicht zu schaffen und damit ein Lebenswerk zu zerstören.
Diese Angst wird unter anderem auch auf den Übergeber übertragen, der sich insgeheim fragt, ob sein Sprössling überhaupt fachlich und charakterlich geeignet ist, das Familienunternehmen alleinverantwortlich zu leiten. Man stelle sich vor, man habe seit der Geburt des Kindes öffentlich kommuniziert, dass der Nachwuchs eines Tages das Familienunternehmen übernehmen werde und wenn der Zeitpunkt gekommen ist, stellt man aber fest, dass das Kind intelligent und gut geraten ist, es aber deutlich an den Führungsqualitäten als Firmenoberhaupt mangelt. Hätten Sie nicht auch Bedenken, Ihr Lebenswerk abzugeben?
Das Dilemma: Einerseits seine bisherige Laufbahn nur auf das eine Ziel ausgerichtet zu haben und andererseits die unbändige Angst davor das Unternehmen durch Inkompetenz in den Ruin zu treiben.
Druck von Außen
Das Unternehmen steht an einem entscheidenden Wendepunkt, und der dieser Druck lastet schwer auf den Schultern des Übergebers. Zwischen den Anforderungen der Banken (die wollen nämlich wissen, wer die langfristigen Kredite zurück bezahlt, wenn das Rentenalter des Patriarchen quasi erreicht ist), den Erwartungen der Kunden (die wollen Sicherheit, dass Nummer 2 in den Startlöchern steht, falls dem Unternehmer etwas passiert), den familiären Verpflichtungen (z.B. des Ehepartners, der nun die langersehnte Weltreise antreten möchte, oder eben den Kindern, die Klarheit für ihre berufliche Zukunft wollen) und den gesellschaftlichen Erwartungen (mit 67 Jahren geht man in Rente, etc.), wird die Herausforderung der Unternehmensnachfolge zu einem regelrechten Drahtseilakt.
Ich verstehe, dass der Übergeber nicht nur mit den täglichen Herausforderungen des Tagesgeschäfts konfrontiert ist, sondern auch den richtigen Nachfolger präsentieren muss. Nicht nur den externen Parteien, sondern vor allem seinen Mitarbeitern! Erfahrungsgemäß ist der Druck sogar noch höher, wenn kein Nachfolger aus den eignen Reihen (der Familie oder dem Unternehmen) zur Verfügung steht. Die Suche nach dieser geeigneten Person, die nicht nur fachlich qualifiziert ist, sondern auch die Werte und Vision des Unternehmens weitertragen kann, ist keine leichte Aufgabe.
Das Dilemma: Einerseits das Unternehmen täglich erfolgreich zu führen und andererseits die Schritte für den Rücktritt einzuleiten.
Doch das ist noch nicht alles.
Angst vor falschen Entscheidungen
Die Angst trifft alle Beteiligten in der Unternehmensnachfolge. Ein falscher Schritt könnte das Unternehmen, das aufgebaut wurde, in Gefahr bringen.
Je unklarer die eigene Strategie und Taktik im Nachfolgeprozess ist, desto mehr Einfallstore gibt es für Betrüger, die sich am Übergeber oder Übernehmer unverhältnismäßig bereichern. Finanziert werden diese Honorare aus dem laufenden Geschäft oder aus den Rücklagen, die eigentlich für den Ruhestand gedacht waren.
Auch die Dynamiken des Marktes spielen hier eine große Rolle. Der Nachfolgeprozess findet parallel zum Tagesgeschäft statt und hier müssen von beiden Seiten (Übergeber und Übernehmer) kluge Entscheidungen für die strategische Ausrichtung des Unternehmens getroffen werden. Am besten im Einvernehmen, damit an diesem empfindlichen Punkt nicht ein weiterer Konfliktbrand entflammt. Wurden hier "schlechte" Entscheidungen getroffen, steht der Übernehmer zukünftig als inkompetenter Trottel da. Oder der Übergeber und sein Lebenswerk werden diskreditiert, weil der Nachfolger "das so ja ursprünglich nicht machen wollte" und die Fehlentscheidung nur des Friedenswillen mitgetragen wurde.
Das Dilemma: Einerseits muss man schnell Entscheidungen treffen und andererseits können zu eilige Umsetzungen von Strategien das Unternehmen gefährden.
Die Herausforderungen bei der Unternehmensnachfolge sind vielfältig, doch eins steht fest: Wenn die Nachfolge nicht klug gestaltet wird, droht das mühevoll Aufgebaute in sich zusammenzufallen. Von den emotionalen Belastungen der Beteiligten mal abgesehen. Der Umgang mit dieser Angst erfordert eine ausgewogene Mischung aus strategischer Planung, Risikomanagement und psychologischer Unterstützung.
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